Die Aufmerksamkeitsökonomie und das Content Marketing oder wie Versicherungen ihre Marke zu Tode amüsieren

31. März 2022 | 6 Minuten Lesezeit

Aufmerksamkeit ist die wahre Währung unserer Zeit

„In einer Welt voller Informationen bedeutet diese Fülle zugleich einen Mangel an etwas anderem: eine Knappheit von dem, was Informationen verbrauchen. Was das ist, liegt auf der Hand: Informationen verbrauchen die Aufmerksamkeit ihrer Empfänger. Folglich erzeugt ein Reichtum an Informationen eine Armut an Aufmerksamkeit.“

Dies erklärte Herbert A. Simon (amerikanischer Sozialwissenschaftler und Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften) bereits 1971. Weit vor dem (uns bekannten) Internet und ganz zu schweigen von Social Media, erkannte er schon, dass Aufmerksamkeit das wirklich kostbare Gut in Informationsgesellschaften ist. Und das ist die erste Erkenntnis, welche Sie aus diesem Artikel mitnehmen sollten.

Aufmerksamkeit ist eine gefährliche Droge

Die Zweite stammt aus Georg Franck Standardwerk „Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf.“ Darin beschreibt er das Modell und die Funktionsweise der Aufmerksamkeitsökonomie und stellt unter anderem fest: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen.“ Ein Punkt, dem sicherlich jeder nur zustimmen kann, der sich Entwicklungen in den sozialen Medien befasst.

Dies sah man dieses Jahr bspw. bei der #BirdBoxChallenge. Bei der manche versuchten mit verbundenen Augen Auto zu fahren, um die entstandenen Videos online zu stellen. Was natürlich zu Unfällen führte. Ein zweites Beispiel ist das Projekt „Selfie Harm“ des Fotograf Rankin. Er schoss hierfür Porträtfotos von Jugendlichen und forderte sie auf, die Bilder soweit zu bearbeiten, bis sie sie auf ihren Social Media Kanälen veröffentlichen würden. Die Ergebnisse mögen schockieren, gleichzeitig zeigen sie allerdings, wie sehr man bereit ist sich zu verändern, um Aufmerksamkeit und damit verbundene Likes im Social Web zu erreichen.

Die Jagd nach Likes in der Versicherungsbranche

Allerdings betrifft diese Jagd nach Likes nicht nur die stets gescholtene Jugend. Sie beeinflusst uns alle. Niemand kann sich davon freisprechen. Insbesondere nicht, wenn man im Social Media Marketing aktiv ist. Denn hier galten lange Zeit (zum Teil noch immer) Interaktionen als Indikator für Erfolg. Was dazu führte, dass Interaktionen und Viralität immer mehr zu einer Art Cargo-Kult wurden. Sie sind nicht mehr Indikator für Erfolg, sie sind im Social Media Marketing (teilweise) der Inbegriff für Erfolg. So wie die Jugendlichen ihr Aussehen vollkommen verändern, um Aufmerksamkeit und Interaktionen zu genierenden, so kommunizieren Marken Inhalte, bei denen nicht mehr die eigene Marke im Mittelpunkt steht, sondern ein Inhalt der Interaktionen erhält.

Ein Beispiel hierfür ist das folgende Facebook-Posting der CosmosDirekt. Dabei muss ich an erster Stelle darauf hinweisen, dass dies KEINE KRITIK AN DEN SOCIAL MEDIA VERANTWORTLICHEN DER COSMOSDIREKT ist! Denn entsprechende Beiträge gibt es bei jeder Gesellschaft. Und häufig stehen sie dabei in keinem Zusammenhang zum eigenen Unternehmen. Nicht selten sind sie reine Unterhaltung der Interaktionen wegen. Etwas, was man der CosmosDirekt nicht „vorwerfen“ kann, denn sie thematisiert in ihrem Posting sogar das zu einer Versicherung passende Thema „Unfallrisiko“.

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Cui bono?

Vor einigen Jahren und zum Teilen auch noch heute wäre laut diverser Social Media Berater CosmosDirekt-Posting ein Best Practice Beispiel für Versicherungsinhalte auf Facebook bzw. im Social Web. Denn es hat etwas mit Versicherungen zu tun, aber ist vor allen Dingen nicht langweilig und erzielt nicht nur 892 Likes und 20 Kommentaren, sondern wurde auch 154 Mal geteilt. Was für Versicherungen zweifelsfrei herausragende Interaktionswerte sind.

Die Frage ist nur: Sind sie das wirklicht? Wer profitiert von der Viralität? Wem kommt die Aufmerksamkeit zugute? Der CosmosDirekt oder dem Cartoonisten Ruthe? Es ist letztgenannter. Denn im Social Media Newsfeed ist der Absender einer Botschaft relativ irrelevant. Selbst bei den Inhalten von Freunden wird zuerst der Inhalt und erst in einem zweiten Schritt der Absender wahrgenommen. Das belegen nicht nur diverse Studien, sondern können Sie auch ganz einfach an sich selbst beobachten. Scrollen Sie durch ihren Newsfeed und fragen Sie sich ob Sie zuerst auf die kleinen Profilfotos und -namen schauen oder auf die Fotos und Videos im Newsfeed.

Fanseiten auf Facebook bzw. Social Media Kanäle allgemein bieten unabhängig vom Inhalt eine Reichweite. Sie bieten eine Plattform, von der letztendlich stets der Inhalt im ersten Moment profitiert. Etwas überspitzt, aber deswegen nicht falsch, stellt ein Facebook-Nutzer unter dem Posting deshalb auch richtig fest, dass vom Prinzip her die CosmosDirekt mit diesem Posting Werbung für den Cartoon macht. Denn sie stellt ihm ihre Reichweite zur Verfügung.

Noch einmal sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies keine Kritik an den Verantwortlichen der CosmosDirekt sein soll. Denn der Beitrag gilt nach der aktuell (noch) gültigen Meinung, als ein Best Practice Beispiel im Social Media Marketing. Denn hier sind Interaktionen das Hauptkriterium und diese erzielt man am einfachsten mit Emotionen und Entertainment.

Fazit – Nutzer schenken Ihnen für 1,7 Sekunden Aufmerksamkeit uns Sie wollen sie verschwenden?

Wir leben in einem (Kommunikations-) Zeitalter, in dem Aufmerksamkeit das wichtigste aller Güter ist. Sicherlich kennen Sie den Goldfischvergleich. Wonach, laut einer Studie von 2015, die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches bei 9 Sekunden liegt und die von Social Media Nutzern nur noch 8. Zwar gibt es an dieser Statistik berechtigte Zweifel, aber braucht uns an dieser Stelle nicht mehr zu interessieren, denn die Zahlen waren schon 2017 überholt, zumindest was den Konsum von Facebook-Inhalten betrifft.

Da gab Facebook IQ Einblicke in die Nutzung der Plattform und erklärte, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer im Desktop News Feed bei nur noch 2,5 Sekunden liegt. In mobile Nutzung, was bekanntlich die primäre Facebooknutzung ist, liegt sie gar nur noch bei 1,7 Sekunden.

Wenn man bedenkt, welch rares Gut Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft mittlerweile ist, dann ist es für mich, aus aufmerksamkeitsökonomischer Sicht, eine extreme Verschwendung, die kostbaren 1,7 Sekunden auf jemanden anderes, als die eigene Marke zu verwenden.

Ebenso sollten Sie sich fragen, ob Sie den Fokus bei der Social Media Kommunikation tatsächlich weiterhin auf Unterhaltung legen wollen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe persönlich absolut nichts gegen Unterhaltung. Ganz im Gegenteil. Nur wenn bei Facebook, Instagram, Twitter und im gesamten #Neuland an irgendetwas nicht mangelt, dann ist es Ablenkung und Unterhaltung.

Damit sage ich nicht, dass Sie nicht unterhaltsam sein sollen. Das müssen Sie zweifellos. Denn langweilige Inhalte gehen vollständig unter. Nur müssen Sie darauf achten, dass ihr Fokus nicht darauf liegt die Nutzer zu amüsieren, sondern über ihre Marke zu informieren. Bei jedem Social Media Inhalt müssen Sie sich fragen: Cui bono? Und wenn die Antwort nicht eineindeutig „meine Marke“ ist, dann sollten Sie ihn nicht veröffentlichen. Denn dann verschwenden Sie Aufmerksamkeit und amüsieren letztendlich Ihre Marke zu Tode.

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MarKo Petersohn

Mehr als 20 Jahre Erfahrung im Onlinemarketing und seit 2010 ausschließlich für die Assekuranz aktiv. Ich helfe Gesellschaften und Vermittlern sich zukunftssicher aufzustellen und schule die dazu benötigten Fähigkeiten.

Außerdem bin ich Gründer der Onlinemarketing Gesellschaft für Versicherungsvermittler, verleihe seit 2018 gemeinsam mit der DKM, den Versicherungsforen Leipzig und dem AMC jährlich den OMGV Award für Makler, Agenturen und Maklerunterstützung

Des weiteren bin ich seit 2021 Leiter Neue Medien beim Versicherungsbote und Host im Königsmacher-Podcast.